
BRAU- und MESSTECHNIK
Brausystem, eingesetzte Messverfahren und weitere Techniken im Überblick
BRAU- und MESSTECHNIK
Brausystem, eingesetzte Messverfahren und weitere Techniken im Überblick
Die WISSENSCHAFTSGESCHICHTE der BIERHEFE
1. Kreidezeit, ca. 100 Mio. Jahre
Die Hefen waren schon lange vor den Bierbrauern da. Im warmen Klima der Kreidezeit (vor ca. 100 Mio. Jahre, ab Beginn Oberkreide) entwickelten sich die Blütenpflanzen, aus denen weniger später auch die
Evolution fleischiger, zuckerhaltiger Früchte einsetzte. Mikroorganismen passten sich ebenfalls an diese Entwicklung an, so z.B. die Mikropilze Hefen, die sich auf Oberflächen von reifen Früchten ansiedeln konnten dank ihrer Fähigkeit, rasch und effizient Zucker in Alkohol umzuwandeln, um daraus Energie für ihren Stoffwechsel zu gewinnen.
2. Holozän/Warmzeit, ca. 10'000 Jahre v.Chr.
Ein reichlicheres Nahrungsangebot am Ende der letzten Eiszeit erlaubte den meist als Wildbeuter lebenden Menschen, feste Wohnlager und Kultstätten zu errichten, Wildgetreide zu sammeln und zu kultivieren. Die Natufien-Kultur (12'000- 9'000 v.Chr.) kannte ca. 160 Arten von Pflanzen, darunter bespelzte Süssgräser wie Roggen, Einkorn, Emmer und Gerste. Überreste fermentierten Getreides aus dem 13. Jahrtausend wurden in einer Höhle in Israel gefunden und stellen damit wohl den bislang ältesten bekannten Nachweis für die Herstellung von Bier dar (Info 1, Info 2).
3. Neolithische Revolution, ab ca. 9'500-6'000 v.Chr.
Die Menschen im Nahen Osten, Nil (Vorderer Orient), Jangste und Gelben Fluss (China) wurden sesshaft und domestizierten Tiere und Pflanzen. In der Folge passten sich wiederum Mikroorganismen und Viren sowohl als gefährliche Infektionserreger wie auch als nützliche Mikroorganismen bei neuartigen Lebensmitteln wie Getreidebrei oder Milch an durch Verwertung der ehemals selteneren Zuckerarten Malzzucker (Maltose) und Milchzucker (Lactose).
Stand: 04.04.2023


Schon Jäger und Sammler waren in der Lage, rein empirisch durch spontane Wildgärungen Getränke mit höherem Alkoholgehalt als dem reifer Früchte (bis zu 0.9%) herzustellen. Erst ab 7'000 v.Chr. lassen Getränkerückstände aus China mit Sicherheit die Schlussfolgerung zu, dass Biere aus den jeweils vorhandenen Stärkepflanzen wie Reis, Hirse und Sorghum gebraut werden konnten. Je nach Stärkepflanzen entwickelten sich lokale Biertraditionen. Während die stärkespaltenden Enzyme zur Zuckergewinnung aus den Pflanzenkeimlingen oder auch aus menschlichem Speichel gewonnen werden konnten, stammte das “Gäragens” - die noch unbekannte Hefe - aus reifen Früchten oder Fruchtsäften (nach heutiger Terminologie die “Starterkulturen”), denn auf der Oberfläche der Stärkepflanzen siedelten sich kaum Hefen an, da sie ja keine stärkespaltenden Enzyme (Amylasen) besitzen.
4. Klassische Kulturen: 6'000 v.Chr. bis 4. Jh. n.Chr.
Sumerer (7'000-2'000 v.Chr.): brauten ab dem 6. Jahrtausend aus Gerste und Emmer Bier.
China (Shangshan-Kultur (9'400-6'600 v.Chr.): Bier aus Reis und Perlgerste als Teil eines Totenkultes.
Ägypter (3'000-500 v.Chr.): Brot und Bier galt ihnen sprachlich gleichviel wie Nahrung. Das Grundrezept "Bier" übernahmen sie von den Babyloniern. Aus Gerste und anderen Getreidearten stellten sie 8 Biersorten her, Normalbiere und Starkbiere, z.T. gewürzt. Der gesamte Brauprozess ist aus Grabwandmalerien dokumentiert.
Griechen (ab 8.-2. Jh. v.Chr.): Übernahmen das Brauwissen von den Ägyptern, betrachteten jedoch Bier als Getränk der armen Leute.
Etrusker + Römer (1'000 v.Chr. - 4. Jh. n.Chr.): Bier war vor dem Traubenanbau sehr populär, verlierte dann aber an Beliebtheit. Erst dank Julius Cäsars Legionären, die gallisches Bier "Cervisia" lieben lernten, erfuhr das Bier bei den Römern wieder eine Renaissance (ab ca. 50 v.Chr.).
Lokale Biertraditionen, basierend auf den Stärkepflanzen.
Grün: Klassische Malzlieferanten.
Quelle: Meussdoerffer/Zarnkow (2014)

Inhaltsverzeichnis PDF
Fazit: Das Brauwissen war rein empirisch, die elementaren Grundstoffe Wasser und
Gerste u.ä bekannt, nicht aber die Gärer selbst: es waren "kontrollierte" Spontan-
gärungen mit Wildhefen.
5. Die lange Zwischenphase: Von den Kelten, Germanen, Klöster 5.Jh. bis 16.Jh.
Kelten/ Gallier (800-300 n.Chr.): Der römische Schriftsteller Plinius der Ältere (23-79 n.Chr.) berichtet von
zahlreichen verschiedenen Biersorten aus Gallien und Hispanien. Der Gerstensaft war aber mindestens
schon seit dem 5. Jh. v.Chr. verbreitet, wie Körner von Gerstenmalz aus keltischen Siedlungen und
Rückstandsanalysen aus Trinkgefässen bezeugen (Info) (Info) (Video).
Der Kelten galten als ausserordentliche Biertrinker, nicht zuletzt deshalb findet man Braukessel in
zahlreichen Fürstengräbern. Es steht fest, dass die Kelten ihr Bier in Fässern aufbewahrten und es
direkt vom Fass zapften. Die Römer fanden diese Idee so gut, dass sie sie übernahmen und kurz darauf
das Weinfass geboren wurde.
Germanen (800 n.Chr.): Der römische Historiker Publius Cornelius Tacitus (ca. 58 – 120 n.Chr.) beschreibt
die Germanen als Biertrinker, die gern Gelage veranstalten ("Sie konnten Hunger und Kälte ertragen, nicht
aber den Durst. Tag und Nacht durchzechten sie."). In der Nähe des heutigen Kulmbachs haben Archäologen
ein Grab entdeckt. Hier wurde ca. 800 v.Chr. ein vornehmer Germane beigesetzt, dem man auf seine letzte Reise einen Krug voller Bier mitgegeben hatte. Untersuchungen zeigten, dass es aus Brot entwickelt worden war (Info).
Klöster Deutschland/Schweiz (ca. 700 n.Chr.): Mit dem Gedanken der Einnahme eines nährhaften Trunkes
während der Fastenzeit beginnen Klöster in Deutschland Bier zu brauen. Bier beginnt auch eine zusätzliche
Einnahmequelle für die Klöster zu werden. Damit wird das Brauen im eigenen Haushalt mehr und mehr
verdrängt. Der Klosterplan von St.Gallen 814 zeigt 3 Brauereien
für 3 Biersorten (Celia, Cervisa, Conventus).
In St. Gallen wurde erstmals in Europa die Bierproduktion in
grösserem Massstab aufgenommen (über 100 Mönche plus
eine noch grössere Zahl christlicher Schüler) (Info). Leider sind
aus dieser Zeit keine Braurezepte erhalten geblieben, nur der
Versuch einer Rekonstruktion (cf. Horst Dornbusch,
Reconstructing the World's Earliest Abbey Ales.
zymurgy 37 (6), S. 36-46, Nov/Dec (2014)).
Weder Kelten, Germanen noch Mönche wussten etwas
über Hefen, sie mussten unwissentlich der Spontangärung
durch wilde Hefestämme vertrauen.
"Statuta thaberna" (1434) der Stadt Weissensee - spätmittel-
alterliche Wirtshausregeln und Gesetze über das Brauen von
Bier: Artikel 12 Weissenseer Reinheitsgebot "Es soll auch nicht
in das Bier weder Harz noch keinerlei andere Ungefercke. Dazu
soll man nichts anderes geben als Hopfen, Malz und Wasser."
(Info).
Londoner Reinheitsgebot 1484: diese Verfügung hält fest,
dass Bier ausschliesslich aus "licuor, malt and yeste" (Hefe !)
zu bestehen habe (Info).
Bayerisches Reinheitsgebot von den Herzögen Wilhelm IV. und Ludwig X. in Bayern, am 23.
April 1516: " .... zu keinem Bier mehr Stücke dann allein Gersten, Hopfen und Wasser genommen
und gebraucht werden sollen."
Hauptzweck dieses bekanntesten aller Reinheitsgebote war, unredliche Bierproduzenten
an der Verwendung minderwertiger Zutaten (z.B. Hafer statt Gersten oder Weizen) oder
unlauterer Beimischungen (Grut - Kräutermischungen, z.B. Schwarzes Bilsenkraut
[halluzinogen, aber toxisch in geringer Konzentration]) zu verhindern, aber auch, um
Braurechte zum eigenen ökonomischen Vorteil einzusetzen (fiskalische und wirtschafts-
politische Aspekte) (Info).
Die Hefen werden von weiteren Verfassern solcher "Reinheitsgebote" (cf. z.B. hier) i.d.R.
nicht erwähnt. Doch durch die genau eingehaltenen Brauvorschriften und offenen
Brauverfahren kamen auch die natürlich immer überall vorhandenen Wildhefen in Luft,
Brauereigebäuden, Kessel oder Holzlöffel spontan dazu und führten ihre Hauptarbeit,
die alkoholische Gärung durch.
Es gibt aber weitere klare Hinweise, dass die Notwendigkeit von Hefen schon 1481
und vorher bekannt war (Hinweise dazu gibt es anlässlich eines Streites in München
zwischen Bäckern und Brauern, wo die Hefen das Thema waren ("Bäckerstreit", cf. Info).
Fazit: Das theoretische Brauwissen ist noch kaum vorhanden und rein empirisch
begründet, die Funktion der Gärorganismen meist noch unbekannt. Das praktische
Brauwissen wird von Generation zu Generation weiter gegeben. Die Zutaten werden
erweitert (verschiedenste Pflanzenkräuter, Hopfen).
Erst 1906 wird Hefe als vierte Zutat zum ersten Male gesetzlich für die Bierherstellung
in Deutschland verankert (Brausteuergesetz vom 3. Juni 1906 > Bierbereitung).
Video: Trinkkfreudige Kelten. Quelle
Klöster: St. Galler Klosterplan 814 mit 3 Brauereien. (Quelle)
Rekonstruktionsversuch eines St. Gallischen Bierrezepts anno 814: CELIA-Bräu für die edlen Gäste des Klosters.
[Quelle: Dornbusch, H., zymurgy 37(6), 39 (2014)]


"Bierbrauer Eid", Bamberg 12. Oktober 1489.
li oben: vollständige Urkunde [Quelle]
li unten: Auszug der oben rötlich markierten Stelle, unten blau markiert.
"in sollichem Biere/ in Breven und im Syden nichts mere dann maltz, hopffen/ und wasser nehmen und brauchen"


Bamberger Reinheitsgebot 1489: ein Reinheitsgebot ist im "Bierbrauer Eid" aus Bamberg enthalten. Erlaubt werden die Zutaten Malz, Hopfen, Wasser sowie bei der Gärung Hefen (Info).
Bayerisches Reinheitsgebot 1516.
Die Hefe wird nicht erwähnt, obwohl schon damals bekannt war, dass Hefen zum Brauen dazu gehören. (Quelle, cf. auch hier)
6. Wesen der Gärung - Vorstufen: Die Alchemisten
Die Alchemisten der ersten Periode (1350-1556 n.Chr.) brauchten zwar die Begriffe “fermentatio” oder “fermentum” (Gärung), “putrefactio” (Fäulnis) und “digestion” (Auslaugung, Verdauung), erkannten aber weder Wesen noch Ursachen der Gärungsvorgänge (Info). Es wird vermutet, dass der Begriff "fermentatio" bzw. "fermentum" sich aus "fervimentatio", also Erwärmung ableitet, der Begleiterscheinung eines aktiven wallenden und schäumenden Gärprozesses (Info 1, Info 2). Erst 1595 wurde von Andreas Libau ("Libavius", 1555-1616, Info) zwischen einer Gärung (Fermentatio) und einer Fäulnis (Putrefactio) unterschieden (Info).
Thaddaeus Hagecius (Tadeáš Hájek z Hájku), böhmischer Astronom und Arzt (1525-1600, Info): Das Werk "De cervisia, eiusque conficiendi ratione, natura, viribus, & facultatibus" [Über das Bier und die Art seiner Herstellung, seiner Natur, Kräfte und Energien] 1585 (Info) ist primär keine Brauanleitung für sein böhmisches Weizenbier (!), obwohl er alle Stufen der Bierherstellung beschreibt (Getreide, Malz, Maische, Hopfenzugabe, Zugabe "Bodensatz" und "Biergestaltung" (= Gärung), Abfüllung Fässer, Lagerung/Reifung u.a.), sondern aus Zutaten und Verfahren eine medizinische Beschreibung des Bieres ("Über die Kräfte und Energien der Biere allgemein"). Hagecius braucht nicht den Begriff Hefe, sondern faex (= Bodensatz) und auch crassamenta (= das Feste). Der Begriff Fermentation (= Gärung) wird von ihm sowohl für die gute (alkoholische) Hefegärung als auch für schlechte Fäulnis benutzt. Dass es sich nicht um eine Spontangärung handelt, geht aus dem "zivilisatorischen" Akt der Hefezugabe hervor: "Dieser Würze ... wird nun, wenn sie die richtige Temperatur erreicht hat, fast einen halben Eimer Bodensatz zugesetzt, der das Bier auszuwerfen pflegt, nachdem es in die Fässer verteilt wurde" und "Diese Einmischung des Bodensatzes pflanzt und kultiviert das Bier, und aus dem Wilden wird das Kultivierte" (Info).
Johann Thölde, deutscher Alchemist (1565- ca. 1614, Info): Das wichtigste Werk des Mönches, das Thölde 1604 herausgab, war zweifellos der "Triumphwagen des Antimons". Hier findet sich der Hinweis, dass er offenbar als Erster die alkoholische Gärung und vor allem die Bedeutung der Hefe als Ferment erkennt und beschreibt: “ ... dass man dann solchem gebrautem Getränk ein wenig Hefen zusetzt, welche dem Bier ein innerliche Entzündung bringt, dass sich’s in sich selbst erhebt und ein Absonderung und Scheidung geschieht des Trüben von dem Klaren und des Unreinen von dem Reinen” (Info 1, Info 2).
Johan Baptista van Helmont (1580-1644, Info): Er stellte alle Lebensvorgänge als chemische Prozesse dar, die er als „Gärung“ bezeichnete und auf „gasförmige Fermente“ zurückführte („Ortus medicinae vel opera et opuscula omnia des Johann Baptist van Helmont“ (Amsterdam 1648). Um das Jahr 1648 unterscheidet Helmont zum erstenmal das entweichende Gärungsgas von dem in der Lösung zurückbleibenden Alkohol, vinorum genannt. Den Namen "Alkohol" hat Paracelsus (Theophrastus Bombast von Hohenheim, 1493 oder 1494-1541, Info), gebildet aus dem Arabischen al (= der) und cohol, d. h. fein verteilt. Das entweichende Gärungsgas wurde 1664 von Christopher Wren (1632-1723, Info) als Kohlensäure identifiziert (Info1, S.34; Info 2, S.180).
Der deutsche Arzt und Chemiker Johann Joachim Becher (1635-1682, Info) lehrte bereits um 1650 den Unterschied zwischen Fäulnis und Gärung. Er unterschied dabei auch die alkoholische ("geistige" Gärung) von der (mit Essig- und Milchsäurebildung verbundenen) sauren Gärung. Er stellte fest, dass nur zuckerhaltige Lösungen vergoren werden und dass sich dabei Alkohol bildet (Info, pdf S.20).

Hagecius: 1585 Über das Bier ... und seine (medizinischen) Kräfte und Energien. Quelle

FAZIT der ersten vorwissenschaftlichen Gärungs-Erkundungsphase
Das Phänomen "Gärung" erweckt das Interesse der Alchemisten, die erste Elemente der Gärungsprozesse
erkennen wie Gärsubstrat (Zucker), Gärprodukte (Alkohol, Essig, Milchsäure, Kohlenstoffdioxid) und deren
Auslöser (Hefe).
Die Begriffe "Ferment" und "Fermentation" werden in der frühen Phase der Alchemie sehr weitläufig
gebraucht und decken sich nicht mit dem heutigen Verständnis. Die elementare Kraft, welche die Basis
aller Dinge ist, ist die von "Fermenten" hervorgerufene Fermentation. Fermente waren also eine Art Urkraft.
Der heutige (veraltete) Begriff Ferment ist in der Bedeutung dem Enzym gleichzusetzen.
Thölde 1604
(Herausgeber, bzw. als Pseudonym Basilius Valentinus): Hefe wirkt als Ferment. Quelle
7. Erste Beschreibung von Hefezellen in gärenden Flüssigkeiten: 1680
Antoni van Leeuwenhoek (1632-1723, Info) war Sohn eines Korbmachers, seine Mutter stammte aus einer Familie von Bierbrauern. Als gelernter Tuchändler studierte Van Leeuwenhoek seine Produkte mithilfe geschliffener Glasscheiben, einer Art Linsen. Im Hinterzimmer seines Ladens entwickelte er auf dieser Weise eine Art Mikroskop. Mit diesem Mikroskop beobachtete er bald nicht nur Tuch, sondern auch Muskelfasern und Blut in Haargefässen. Weil er für die damaligen Verhältnisse ausserordentliche gute Linsen schleifen konnte, war er in der Lage vieles zu beobachten, das Anderen noch verborgen blieb. So stammen von van Leeuwenhoek die ersten
Beschreibungen von Bakterien. Diese "dierkens"
(Tierchen) fand er in seinem Plaque, das er den
eigenen Zähnen abkratzte, und in Eiter. Auch beschrieb
er 1679 die Samenzellen in Sperma. Seine Feststellung,
dass Leben nicht einfach aus Staub entstehen könne,
sondern sich aus kleinen Zellen entwickle, revolutionierte
die damalige Wissenschaft und war mit den gängigen
religiösen Vorstellungen schwer vereinbar (Info).
So untersuchte er auch gärende Flüssigkeiten mit einer
Vergrösserung von ca. 100-250fach und entdeckte kleine
runde kugelige Gebilde, die er 1680 beschrieb und als
den Blutkörperchen ähnlich erklärt. Leeuwenhoek fand
schon Unterschiede in den Grössenverhältnissen dieser
Kügelchen, "Globulen", je nachdem sie aus Bier, Wein
oder gärenden Sirupen in den Apotheken entstammten.
Die aus dem Bier waren am grössten. Er erkannte aber
noch nicht, dass diese unbeweglichen Gebilde lebende
Hefezellen waren und stellte sie daher auf die gleiche
Stufe wie die ebenfalls im gleichen Präparat
beobachtbaren Stärkekörner (Info1, Info2).
Es sollten noch über 200 Jahre vergehen, bis es Forschern möglich wurde, Mikroorganismen wie Hefen zu züchten und unter dem Mikroskop zu erkennen.
Leeuwenhoek entdeckt mit seinen selbstgeschliffenen Linsen in seinem Mikroskop als erster Mensch Mikroorganismen! In einem Brief vom 17. September 1683 an die Royal Society in London beschreibt und skizziert er seine Beobachtungen. Hefebeobachtungen hier !!
Leeuwenhoek-Mikroskop, ca. 1657.
1 Linse, 2 Probenhalter, 3 Gewinde zur Scharfstellung, 4 Gewinde für
richtige Höhe der Probe. Leeuwenhoek-Skizzen der "kleinen Tierchen":
A Stäbchenbakterium, B Bewegung eines kurzen Stäbchenbakteriums
von C nach D; E Kokken (kugelförmige Bakterien), F lange Stäbchen-
bakterien im Mund, G Spirillen, H Kokkenhaufen.
[Bild Mitte: Frischknecht, Leeuwenhoek-Replika]

Leeuwenhoek-Hefen.
Hefen zwar entdeckt, aber noch nicht erkannt [Quelle]
Fazit: Die Entdeckung der "Hefegebilde" war ein "kosmischer Glücksfall" und Leeuwenhoek seinen Zeitgenossen weit voraus.
Die Einordnung der Hefen als Lebewesen war noch nicht möglich. Die Entdeckung der Hefen und weiterer Mikroorganismen kam für die damaligen
Gelehrten schlicht zu früh.
8. Weitere Schritte zur Klärung der Rolle von Mikroorganismen bei der Gärung: 17. Jh. bis 1860
Georg Ernst Stahl (1659-1734, Info) beschrieb 1697 die Bildung neuer stabiler Verbindungen
als Ergebnis der Fermentation. In seinem 1697 publizierten chemischen Werk "Zymotechnia
fundamentalis" (Info) über die Grundlagen der Gärkunst geht hervor, dass Stahl eine Art
Infektionswirkung gärender bzw. faulender Flüssigkeiten erkannte. Ihm war bekannt, dass für
die Gärung "gärungsfähige Substanzen" wie Zucker, Mehl oder Milch notwendig waren und im
Endergebnis dieser Prozesse Alkohol entstand. Aber Stahl's Werk konnte weder das Wesen der
Gärung noch deren Verursacher Hefen erhellen.
Luigi Ferdinando Marsigli (1658-1730, Info) und Giovanni Maria Lancisi (1654-1720, Info):
Marsigli entfachte durch seine Experimente mit alkoholischer Gärung kontroverse Diskussionen,
da er mit ihnen die Unmöglichkeit der Urzeugung zu beweisen versuchte. Zusammen mit Giovanni
Maria Lancisi veröffentlichte er 1714 die Dissertatio de Generatione Fungorum .... in der beide
entschieden der seit der Antike verbreiteten Ansicht widersprechen, Pilze entstünden aus Fäulnis,
wobei das Myzel ein Zwischenstadium zwischen verfaulenden Pflanzen und den Pilzen sei (Quelle).
Samuel Johnson (1709-1784, Info): 1755 definierte in seinem Werk "A Dictionary of the English
Language" Hefe als "... the ferment put into drink to make it work; and into bread, to lighten and
swell it" (Barnett, 1998). Die Hefe wurde chemisch definiert und nicht als Lebewesen.
Eine Ausschreibung der Akademie der Wissenschaften Paris im Jahre 1799 (und 1805) stimulierte die Forschungen rund um Gärprozesse: "Welches sind die Kennzeichen, durch welche sich bei den pflanzlichen und tierischen Substanzen diejenigen, welche als Gärmittel (ferment) dienen, sich von denjenigen unterscheiden, auf welche sie die Gärung (fermentation) übertragen?". Das Preisgeld bestand aus einer Medaille im Wert von 1 kg Gold. Grund dieser Ausschreibung waren unerklärbare Phänomene bei der Weinherstellung: z.B. Essigbildung, unerwünschte Aromen).
Erste Vermutungen und Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Hefen und Gärprozessen stellten an:
-
Carl von Linné (1707-1778, Info) 1777: "Die Polen .... sollen von seinen Blättern und Saamen [Bärenklau Porst], mit einem Zusatz von Hefen, einen Trank kochen, der den Armen statt des Bieres dient" (Info).
-
Antoine Laurent de Lavoisier (1743-1794, Info): 1789 publizierte
der französische Chemiker eine erste Vorläuferstufe einer chemischen
Gleichung der alkoholischen Gärung in der Form: Most = Alkohol +
Kohlendioxid (le moût de raisin = acide carbonique + alkool). Die heftige
Bewegung bei alkoholischer Gärung sah er als Anzeichen für eine heftige
chemische Reaktion bei der Umordnung der drei Grundelemente
(organische Prinzipien) C, H, O. Er publizierte ebenfalls die nebenstehende
Tabelle (Quelle: Barnett, 1989).
-
Louis Jacques Thénard (1777-1857, Info): 1803 Zum ersten Male erwägte
der französische Chemiker die Hefe als wahre Ursache der Gärung (Info).
-
Joseph Louis Gay-Lussac (1778-1850, Info) 1810 Aufklärung der chemischen
Reaktion bei der alkoholischen Gärung, 1815 Ermittlung der Brutto-Reaktions-
gleichung der alkoholischen Gärung: Abbau von Glucose zu Ethanol und
Kohlenstoffdioxid. Die eigentliche chemische Reaktionsgleichung konnte
allerdings erst später formuliert werden, da 1843 erst die Verhältnisformel
bzw. empirische Formel (Info) des Traubenzuckers (Glucose, CH2O) von
Jean-Baptiste Dumas (1800-1884, Info) etabliert wurde, die Molekül- oder
Summenformel C6H12O6 sogar erst 1870 bzw. 1871 von Adolf von Baeyer
(1835-1917, Info) bzw. Wilhelm Rudolph Fittig (1835-1910, Info).
-
Johann Christian Polycarp Erxleben (1744-1777, Info): 1818 Erxleben war der Erste, welcher den Gärungserreger, die Hefen, als einen vegetierenden Organismus ansprach" (Info).
-
Jean Jacques Colin (1784-1865, Info): 1825 Der Chemiker schrieb "....die Hefen werden so bei der Gärung gebildet". Er erkannte auch, dass Hefen die Gärung in Abwesenheit von Sauerstoff fördern (Info). Bis zu diesem Zeitpunkt, genauer bis 1827 wurde die gesamte Hefeforschung von Chemikern dominiert! (Info).
Zahlreiche weitere Naturwissenschafter waren an der Aufklärung verschiedenster Aspekte der Hefegärung beteiligt, neben Chemikern neu ab 1827 auch erstmals Biologen:
-
John Baptiste Henri Joseph Desmazières (1786-1862, Info). 1827 Mikroskopische Untersuchungen der Biergärorganismen, Publikation von Zeichnungen, Nomenklatur der Gärorganismen [z.B. Mycoderma cervisiae, Info]. Der Mykologe erkannte die beteiligten Strukturen als einfache lebende Organismen, aber bezeichnete sie nicht als Verursacher der Gärung.
-
Louis Jacques Thénard (1777-1857, Info): 1833 Der französische Chemiker untersuchte die Essiggärung mit Hefen (Info).
-
Friedrich Traugott Kützing (1807-1893, Info) 1834/1837: Der deutsche Lehrer der Naturwissenschaften und Algologe
wurde durch seine Studien über die Natur der Hefen und Essigsäurebakterien bekannt. Im gelang wohl als erster
Naturwissenschafter der Nachweis der "vegetabilischen Natur der Hefe" (pflanzlich, von Pflanzen stammend). Seine im
Dezember 1834 eingereichte Arbeit wurde achtlos beiseite gelegt oder verschwinden lassen. Am 26.07.1837 referierte
er erneut über seine "Mikroskopischen Untersuchungen über die Hefe und Essigmutter, nebst mehreren anderen dazu
gehörigen vegetabilischen Gebilden". Diese Erkenntnisse wurden im gleichen Jahr noch publiziert (Info). Er schätzte den
Durchmesser der "Kügelchen" auf etwa 6-9 μm. Er vermutete auch, dass die verschiedenen Gärungstypen auf
verschiedene Organismen zurückzuführen seinen, was erst 1860 dann durch Pasteur bestätigt wurde.
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Jöns Jakob Berzelius (1779-1848, Info): 1837 "Eine Auflösung dieses Zuckers in Wasser verändert sich nicht für sich, aber
mit Hefe versetzt, geht sie in eine lang anhaltende Weingährung über" (Info).
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Charles Cagniard de la Tour (1777-1859, Info) Physiker und Ingenieur sah im Mikroskop, wie die von blossem Auge
ganz unorganisiert erscheinende Hefemasse sich aus kleinen Kügelchen zusammensetzte. "... die Maische, eine Stunde
nach dem Zusatze der Hefe einzelne Kügelchen zeige, welche denen ähnlich waren, die in der Hefe enthalten sind; eine Stunde
später hatten sich einige jener Kügelchen verdoppelt, wobei es schien, als wäre das zweite Kügelchen aus dem ersteren
hervorgetrieben. ... je zuletzt sah man stets 3, 4 und mehr solcher Kügelchen aneinander hängen." (Meyen, 1837 Info).
Diese vermehrten sich, sprossten aus, so dass bald "Gebilde" zusammen hingen, bald sich wiederum Teilchen voneinander lösten. Es musste sich also
um lebende Wesen, nicht um tote Substanz, um Abfall des Bieres handeln, wie die vorherigen gängigen chemische Lehren behaupteten. Cagniard
bezifferte die Grösse der Kügelchen auf 6 bis 7 Tausendstel Millimeter, und - nach seinen Schätzungen - passten eine Milliarde Zellen in einen
Kubikzentimeter. Er stellte auch Gärungsexperimente an und bemerkte, dass die lebenden Hefezellen Zucker verbrauchten, Kohlenstoffdioxid freisetzten
und Alkohol produzierten. Diese Befunde legte er am 12. Juni 1837 der Pariser Akademie in einer kurzen Zuschrift vor. Bereits 1836 beschrieb er seine
mikroskopischen Beobachtungen über Bierhefezellen als auch mit Bierhefe angestellte Maische (18. Juni 1836 in der Pariser Société Philomatique. 1838
publizierte er in "Abhandlungen über die weinige Gärung": "Die Gärung ist eine Folge pflanzlicher Tätigkeit" (Info).
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Der deutsche Biologe Theodor Schwann
(1810-1882, Info) arbeitete zusammen mit
Matthias Jacob Schleiden (1804-1881, Info)
die Theorie aus, dass die Zelle das Grund-
element eines jeden Organismus darstellt
(Info). Er war ein Pionier in vielerlei Hinsicht.
Er widerlegte mithilfe von Bierhefen das
vorherrschende Konzept der Spontanzeugung,
(auch: Urzeugung, Generation spontaneae)
also die Vorstellung, dass Lebewesen aus
zuvor unbelebter Materie entstehen können.
Er tötete in der Luft enthaltene Mikro-
organismen (Bakterien, Hefen) dadurch ab,
dass er die Luft durch erhitzte Glaskapillaren
leitete. In den Behältern mit einer Lösung
aus Rohrzucker und Bierhefen, die er erhitzte,
fand nur in denjenigen eine Fermentation statt,
die mit nicht erhitzter Luft in Kontakt kam - mit
erhitzter Luft passierte nichts. Mikroskopische
Untersuchungen liessen ihn "Körnchen"
entdecken, die rund oder oval waren, die zum
Teil vereinzelt, aber auch in Ketten bis zu acht
oder mehr Einheiten vorlagen. Er schlussfolgerte
aus vielen Untersuchungen, dass die Körnchen
"Hefezellen" sind, die durch Knospung wachsen, Zucker deren Nahrung ist, Ethanol ausgeschieden wird und zum Wachstum stickstoffhaltige Substanzen
notwendig sind.
Bezüglich Gärung ordnete er die Hefen den Pflanzen zu und er benannte den neuen Organismus, dem aber das typische pfanzliche grüne Pigment
(Chlorophyll) fehlte, als "Zuckerpilz Saccharomyces", ein Begriff, der sich als Gattungsname bis heute hat halten können.
1837 publizierte er unabhängig von den Untersuchungen von Gagniard-Latour und Kützing seine Erkenntnisse: "In ausgepresstem Traubensaft tritt die
sichtbare Gasentwicklung als Zeichen der Gärung ein, bald nachdem die ersten Exemplare eines eigentümlichen Fadenpilzes, den man Zuckerpilz nennen könnte,
sichtbar geworden sind. Während der Dauer der Gärung wachsen diese Pflanzen und vermehren sich der Zahl nach" (Info).
Turpin 1838: Hefezellen vermehren sich durch Knospenbildung.
[Quelle: New York Review, Vol. IV (1839), mod. (hier)]
Stahl 1697: Aus gärungsfähigen Substanzen entsteht Alkohol. Quelle
Kützing 1834: pflanzliche Natur der Hefen Quelle

Lavoisier 1789: Zusammensetzung der chemischen Komponenten vor und nach der alkoholischen Gärung. Hefe wurde nicht als eigentliche Ursache der Gärung erkannt, sondern als reagierendes Edukt [Ausgangsstoff einer chem. Reaktion].
[Übersetzung 1790 in Englisch, Quelle Barnett, 1998]

Turpin 1840: Skizzen von Hefen aus Bier.
[Quelle: Barnett, 1998]

Schwanns Versuchsanordnung 1837:
keine Fermentation mit stark erhitzter Luft in einer abgekochten Zucker-Bierhefenlösung. [Quelle]
Theodor Schwann: vielseitiger Naturwissenschafter. [Quelle]
-
Pierre Jean François Turpin (1775-1840, Info): Der französische Botaniker und geübte Mikroskopiker
beschreibt 1838 die Hefezellenvermehrung in frisch beimpfter Bierwürze und bestätigt damit die
Organismentheorie der alkoholischen Gärung ("Memoire sur la cause et les effets de la fermentation")
(Info).
-
Justus Freiherr von Liebig (1803-1873, Info): Drei führende Chemiker, Liebig, Wöhler und Berzelius denunzierten und behinderten das Konzept von lebenden Organismen (Hefen) als Gärursache (= sog. vitalistische oder vitale Gärtheorie) und blockierten so die Weiterentwicklung der Mikrobiologie um etwa 20 Jahre. Liebig 1839 "Mit Wasser zerteilte Bier– und Weinhefe unter einem guten Vergrösserungsglas betrachtet stellt durchscheinende plattgedrückte Kügelchen dar.… Die Naturforscher wurden durch diese Form verleitet, das Ferment für belebte organische Wesen, für Pflanzen oder Thiere zu erklären." Liebig war gar nicht dieser Ansicht, er vertrat die eine Zersetzungsthese dass Hefe ein unbelebter Katalysator sei, der den Zerfall von Zucker zu Alkohol und Kohlensäure beschleunigt. Zusammen mit seinem Chemikerkollegen Friedrich Wöhler (1800-1882, Info) verfasste er ebenfalls 1839 eine Streitschrift "Das enträthselte Geheimnis der geistigen Gährung", um sich über die Naturforscherkollegen der organismischen "vitalistischen" Gärlehrmeinung lustig zu machen: .... Mit Wasser zerteilte Bier- und Weinhefe löst sich in unendlich kleine Kügelchen auf. Bringt man diese Kügelchen in Zuckerwasser, so entwickeln sich daraus kleine Tiere. Sie besitzen eine Art Saugrüssel, mit dem sie den Zucker aus der Auflösung verschlucken. Die Verdauung ist sogleich und auf das Bestimmteste an der erfolgenden Ausleerung von Exkrementen zu erkennen. Sie entleeren aus dem Darmkanal Weingeist und aus den Harnorganen Kohlensäure. So sieht man also aus dem Anus dieser Tiere unaufhörlich eine spezifisch leichtere Flüssigkeit in die Höhe steigen und aus ihren enorm grossen Genitalien spritzt in sehr kurzen Zwischenräumen ein Strom von Kohlensäure." Mit einer „mechanistischen Gärungstheorie“ schrieben sie bestimmten Stoffen eine katalysierende Wirkung zu. Liebig postulierte zudem eine zellfreie Gärung, was immerhin korrekt war, aber erst später erklärbar.
Fazit: Cagniard de la Tour, Kützing und Schwann erzielten unabhängig voneinander mit ähnlichen Untersuchungen die gleichen Ergebnisse: Die Hefen
sind lebende Substanz, die aus einzelnen vermehrungsfähigen Zellen bestehend die Ursache für die Gärung sind. Gärung ist kein physikalisch-
chemisches Phänomen.
Trotz der massiven negativen Beeinflussung durch die drei Starchemiker der 1840er und 1850er Jahre wurde die These
der organismischen Gärung immer stärker, auch durch Chemiker akzeptiert, so z.B. durch Eilhard Mitscherlich (1794-1863,
Info). Mitscherlich entwickelte die Idee, dass die "Substanz Hefe" aus Mikroorganismen besteht. Als Beweis führte er 1841
ein Experiment mit Hefe und einer Zuckerlösung aus: Hefen in einem Glasrohr getrennt von einer Zuckerlösung konnten
nur in ihrem Glasrohr eine Gärung durchführen, da sie zu gross waren, um durch den "Filter Pergamentpapier" hindurch
zu passieren, ganz im Gegensatz offenbar zu der Chemikalie Zucker, die problemlos hindurch diffundieren konnte
(Info, ab S.224). Zudem beobachtete 1843 er als erster die Vermehrung der Bierhefe aus einer einzigen Zelle unter dem
Mikroskop (Info > Artikel A. Klöcker "Allgemeine Entwicklung und Morphologie, S.4).
Hermann Ludwig Ferdinand von Helmholtz (1821-1894, Info): Physiologische Untersuchungen über Gärung, Fäulnis und
die Wärmeproduktion der Lebewesen zur Ausformulierung des Energieerhaltungssatzes. Mit einer ähnlichen
Versuchsanordnung wie E. Mitscherlich, aber anstelle einer Papiermembran nahm er eine tierische Membran (Blase) und
bestätigte 1843 dessen Ergebnisse (Info, S. 459).
Karl Josef Napoleon Balling (1805-1868, Info), einer der Begründer der wissenschaftlichen Gärungschemie, führte 1843 die
sog. Attenuationlehre oder Saccharometrische Bierprobe ein (Info) und akzeptierte Hefen als lebende Organismen (1845, Info).
Julius Eugen Schlossberger (1819-1860, Info): 1844 akzeptierte er als Chemiker die Natur der Hefen als Organismen
aufgrund der chemischen Zusammensetzung aus Stickstoffverbindungen, Zellulose, Fette und Mineralstoffen (Info).
Apollinaire Bouchardat (1806-1886, Info). Der französische
Arzt, Apotheker und Chemiker befasst sich mit alkoholischen
Gärvorgängen (Info1, S. 1120 ff.) und beschrieb 1844
mehrere "alkoholische Fermente", so z.B. ein "ferment de
la bière" (Info 2, S.458).
Charles-Félix Blondeau, ein französischer Physiker und
Mineraloge brachte 1846 den Beweis, dass alle Arten von
Gärungen durch eine besondere Art von "mikroskopischen
Organismen" bewirkt werden (Info 1, Info 2).
Friedrich Wilhelm Lüdersdorff (1881-1886, Info) hatte bereits 1846 versucht herauszufinden,
ob die Hefe lebendig sein muss, um die Gärung zu erzeugen. Nachdem er Hefe auf einer
Schliffplatte zerrieben hatte, bis die mikroskopische Untersuchung keine intakten Zellen zeigte,
stellte er fest, dass eine unzerriebene Probe derselben Hefe, aber nicht die gemahlene Hefe,
eine Zuckerlösung vergärte. Also schloss er auf die Richtigkeit der vitalistischen Theorie.
John Thomas Quekett (1815-1861, Info). Der britische Histologe und Mikroskopiker beschrieb
1852 die Hefe Torula cerevisiae als "Hefepflanze" (Info, ab S.18).
Robert Dundas Thomson (1810-1865, Info) war Mediziner und Chemiker. Er publizierte
1852 "Nach meinen Beobachtungen möchte ich die Essigmutter für eine Modification oder ein
Derivat der Hefenpflanze halten; in ihren chemischen Wirkungen verhalten sich die beiden
Pflanzenformen ähnlich" (Info). Zudem analysierte er ebenfalls 1852 die "Zusammensetzung
der Hefe aus Hrn. Thomson's Bäckerei aus Glasgow" und beobachtete "Unter dem Microscope
betrachtet bestand diese Hefe aus Kügelchen, welche mit einigen wenigen Stärkemehlkörnchen
gemengt waren" (Info, S.372).
Rudolf von Wagner (1822-1880, Info). Der deutsche chemische Technologe befasste sich
mit der "geistigen Gährung oder Alkoholgährung". 1847/1848 beschreibt er verschiedene
Hefearten: "Schon beim ersten Anblicke lässt sich unter dem Mikroskope Oberhefe von Unterhefe
leicht unterscheiden. ... Oberhefe ... schwimmen theils einzeln, theils mit andern Zellen von
gleicher Grösse zusammenhängend. .... Die Unterhefe ... sind aber nicht zusammenhängend ...
(Info, S.241 ff.).
Noch in seinem 1871 erschienen "Handbuch der chemischen Technologie" wird der alte Disput
zwischen der Gärung als rein physikalisch-chemischem Phänomen und der organismischen
These der mikrobiellen Ursache sichtbar: "Derjenige Körper, welcher die Gährung hervorzurufen
im Stande ist, heisst das F e r m e n t oder der Gährungserreger, bei der geistigen Gährung die
H e f e. Das Ferment ist entweder ein organisirtes Wesen, ein Gährungspilz wie die Hefe, oder eine
in Zersetzung begriffene Proteinsubstanz." .... "Ueber die Rolle der Hefe bei der geistigen Gährung
sind (ungeachtet der neueren Untersuchungen von v. Liebig, Pasteur, Lemaire u. A.) die Ansichten
der Chemiker noch ziemlich getheilt. Soviel lässt sich jedoch annehmen, dass die chemische Action
bei der geistigen Gährung mit den Lebensvorgängen der Hefe in unmittelbarster Beziehung steht
und die geistige Gährung wesentlich auf der Bildung von Hefenzellen, auf der Entwickelung
organisirter Substanz beruhe" (Info, S.468, S.470).

Mitscherlich 1841: Diffusionsapparatur.
Hefen im Glasrohr (grün) können nicht durch den Papierfilter in die Zucker-lösung (rot) eintreten, wohl aber Zucker zu den Hefen --> Gärung.
[Quelle: Barnett, 1998, S. 1448; Abb. farblich mod.]
Quekett 1852: Torula cerevisiae = yeast plant [Quelle]
Bouchardat 1844: alkoholisches Ferment. [Quelle]
Wagner 1847: Oberhefen, Unterhefen.
[Quelle]
Diese bisherigen Entdeckungen wurden in Fachzeitschriften publiziert, die offenbar von den Praktikern kaum beachtet wurden. So schrieb noch 1859 Heinrich Marquard in seinem Brauereifachbüchlein "Die neuesten und bewährtesten Bereitungsweisen, Aufbewahrungsmethoden und Tauglichkeitsproben der so genannten Pfund- oder Presshefen": "Die gewöhnliche Hefe ist bekanntlich die von gährendem Biere abgesonderte breiartige gelb-bräunliche, meist auf der Oberfläche sich sammelnde, zum Theil aber auch zu Boden fallende aus Kleber, Wasser, Kohlen-, Essig- und Aepfelsäure, Extractivstoff, Schleim und Zucker bestehende Substanz, welche vornehmlich dazu benutzt wird, um in anderen dazu fähigen Flüssigkeiten eine neue Gährung einzuleiten".
Es gibt aber seltene Ausnahmen, so z.B. K.H. Kaiser, Chemieprofessor in München, der bereits 1838 seinen Brauerstudenten die Arbeiten Kützing's und 1850 ebenfalls die Erkenntnisse von R. Wagner in seinen Vorlesungen vermittelte (Info).

FAZIT der ersten eigentlichen Hefe-Forschungsperiode 17. Jh. - 1860
1. Braukunst: Lebende Mikroorganismen, die Hefepilze, sind die Verursacher der alkoholischen
Gärung. Es ist kein rein physikalisch-chemisches Phänomen.
2. Wissenschaft/Forschung: Hefen waren die ersten Mikroorganismen, die wissenschaftlich
untersucht wurden, wegen ihrer grossen Zellen und ihrer ökonomischen Bedeutung.
Die Erforschung der alkoholischen Gärung legte die ersten wissenschaftlichen Grundlagen für die Entschlüsselung des zellulären
Stoffwechsels, insbesondere der Funktion der Enzyme. Schwann's experimentelle Arbeiten waren ein Modell für die spätere Erforschung
der mikrobiellen Physiologie.

9. Louis Pasteur und seine Zeitgenossen 1850-1880: Die Gründerjahre der Mikrobiologie
Die Erforschung der Fermentation wurde immer stärker von Biologen übernommen. Die mikrobielle Ursache der Gärung wurde aber immer noch nicht von allen akzeptiert. Die Aufklärung der eigentlichen Lebensvorgänge in den Zellen stand nun aber Im Zentrum der Forschung in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Heinrich Georg Friedrich Schröder (1810-1885, deutscher Naturforscher/Physiker, Info) und Theodor von Dusch (1824-1890, deutscher Mediziner, Info). 1854: Mechanische Luftfiltration mittels Baumwolle verhindert jede Art von Gärung, Fäulnis oder Schimmelbildung. Eine Spontanentstehung von Lebewesen, die dann zur Gärung führen kann, ist ausgeschlossen (Info)1, Info 2, S.239).
Pierre Jaques Antoine Béchamp (1816-1908, Info) erforschte zwischen 1854-1857 die Gärung. Die Hydrolyse von Rohrzucker beschrieb er als Ergebnis der Aktivität von Lebewesen, die Gärung als im Wesentlichen um einen Vorgang der Ernährung (Zucker) und Exkretion (Alkohol). 1858 erschien eine Arbeit von ihm, wo er von "organisierten (auch: löslichen [ferments solubles] Fermenten" (Enzymen) spricht, die sich in Kulturmedien in Abwesenheit von proteinhaltigem Material entwickeln können. Er geriet in heftige Kontroversen mit Pasteur, den er für einen Plagiator seiner eigenen Arbeiten hielt. Wahrscheinlich waren beide unabhängig voneinander zu ähnlichen Ergebnissen gekommen (Info).
Louis Pasteur (1822-1895, Info) war französischer Chemiker, Physiker, Biochemiker und insbesondere
Mitbegründer der medizinischen Mikrobiologie. Er begann ab 1854 sich intensiv mit dem Phänomen
der Gärung zu befassen aufgrund der Bitte von Brennereien, in denen es infolge von Gärstörungen
zu massiven Ausbeuteverlusten gekommen war. In "gesunden" Gärfässern mit normaler Gärung
beobachtete er mikroskopisch runde Kügelchen, also Hefen, während sich in Fässern mit "kranker"
Gärung ohne Alkoholbildung Bakterien tummelten. So wandte sich der Chemiker Pasteur der Welt der
Mikroorganismen zu. Auch er musste sich noch gegen die Ansicht der abiotisch verursachten Gärung
durchsetzen, d.h. gegen die gestandenen Chemiker wie Berzelius oder Liebig. 1857 fasste er seine an
der Milchsäuregärung gewonnenen Erkenntnisse zusammen (Quelle):
-
Gärung ist das Resultat der Aktivität lebender Mikroorganismen.
-
Jede Form der Gärung kann auf einen spezifischen Mikroorganismus zurückgeführt werden.
-
Das gärende Medium liefert dem Mikroorganismus Nährstoffe.
-
Das gärende Medium kann die Entwicklung eines Mikroorganismus fördern oder behindern.
-
Verschiedene Mikroorganismen konkurrieren um die Nährstoffe in einem Medium.
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Normale Luft ist die Quelle der Mikroorganismen, die eine Gärung auslösen.
-
Durch „Aussäen“ können Mikroorganismen isoliert und gereinigt werden.
Dieses Grundcredo leitet seine Arbeiten zu Bier, Wein und Essig, alles ebenfalls Fermentationsvorgänge.
Obwohl Pasteur nicht als Entdecker der alkoholischen Gärung bezeichnet werden darf (sondern ja bereits 1837
unabhängig voneinander von Charles Cagniard-Latour, Theodor Schwann und Friedrich Kützing publiziert
wurde, von Pasteur allerdings erst 1878 anerkannt), erweiterte er das Wissen über die Gärung: nicht nur Ethanol
und Kohlenstoffdioxid, sondern zahlreiche Nebenprodukte wie Glycerin, Bernsteinsäure, Zellulose und Fette
können entstehen.
1857: "dass die Hefe infolge ihrer Lebenstätigkeit den Zucker in Alkohol und verschiedene Säuren spaltet, sowie einen
Teil zu ihrer Organisation an sich ziehe".
1860: Umfassende Publikation mit unwiederlegbaren Beweisen zur Funktion der Hefe bei der alkoholischen
Gärung ("Mémoire sur la fermentation alcoolique" [Info]).
1861: Pasteur veröffentlicht sein berühmtestes Werk über Hefe, in dem er die gegensätzlichen Auswirkungen von
aeroben und anaeroben Bedingungen auf die Gärung von Zucker beschreibt. In der aeroben Phase wachsen und
vermehren sich die Hefezellen, in der sauerstofflosen anaeroben Phase produziert sie Alkohol.
1876: In "Ètudes sur la bière" unterscheidet er als erster zwischen aerobem und anaerobem Leben: "... die Gärung
ist immer mit dem Leben der Hefezelle verbunden, allerdings ohne Sauerstoff".
Pasteurs Fazit: "Keine Gärung ohne Organismen" und "Jede Gärung durch eine spezifische Art von Organismen".
Pasteur erkannte auch die Gefahr von säurebildenden Bakterien für die Brauindustrie, nicht aber den Einfluss
von Fremdhefen, die er ebenfalls beobachtete.

Louis Pasteur in seinem Laboratorium.
Pasteur 1876: Grundlegende Studien
über die Biergärung (englische Über-
setzung 1879).
Die abgebildete Apparatur erlaubte eine direkte mikroskopische Untersuchung der Hefen im Gäransatz. [Quelle]

Pasteurs Versuchsansatz zur Sterilisation und Entfernung von Sauerstoff aus dem Glucosemedium.
[Quelle: "Studies on Fermentation", S. 240, Fig. 60, mod.]
"Saccharomyces Pastorianus, in course of regular growth".
[Abb. aus Pasteur "Studies on Fermentation", S. 169].
Mehr über Pasteur und sein Wirken: cf. K. Frischknecht, Vortrag Universität St. Gallen
"Louis Pasteur: Mikrobenbändiger, nicht frei von Makeln" (07.12.2022)
Unabhängig von Pasteur hatte auch der holländische Chemiker Johannes Hubertus van den Broek (1815-1896) das Gärungsproblem bearbeitet und war zu gleichen Resultaten gekommen (1860, Info, S.53). Er arbeitete mit frischem Traubensaft und konnte zeigen, dass derselbe jahrelang bei einer Temperatur von 26-28°C keine Veränderung zeigte, wenn er nicht durch Luftkeime beimpft wurde (Haehn, 1952, S.29; Info S. 2504 ff.).
Fremd- oder Infektionshefen hatte zwar Pasteur bei Studien zur Weingärung 1860
entdeckt, mindestens morphologisch (sehr langestreckte Zellformen), nicht aber
deren Bedeutung.
Maximilian Reess (1845-1901, Info), deutscher Botaniker beobachtete ebenfalls
solche Hefezellformen und gab in seinem beachteten Werk "Botanische
Untersuchungen über die Alkoholgährungspilze" 1870 dieser Organismengruppe den
Namen Saccharomyces pastorianus (Info). Damit war Saccharomyces pastorianius als
eigenständiger Hefestamm beschrieben.
Ist Gärung (Fermentation) ein physiologisches Phänomen, also den Gesamtaktivitäten eines ganzen Organismus zu verdanken bzw. für seine Funktion an den Organismus gebunden, oder ist es eher eine rein enzymatische Aktivität und kann auf ausgeschiedene Substanzen (Ferment bzw. Enzyme) zurückgeführt werden? Dieses Problem war eine Knacknuss für die Forschung dieser Periode.
Pasteur: "Sollen wir sagen, dass Hefe sich von Zucker ernährt und Alkohol und Kohlensäure ausscheidet? Oder soll man im Gegenteil sagen, dass Hefe ... einen Stoff wie Pepsin produziert, der auf den Zucker wirkt und bald erschöpft ist, denn in vergorenen Flüssigkeiten findet sich kein solcher Stoff?"
Moritz Traube (1826-1894, Info), ein deutscher Chemiker (physiologische Chemie) beschrieb 1858 in seinem Werk "Theorie der Fermentwirkungen" Fermente als bestimmte chemische Verbindungen mit Eiweisscharakter (Eiweisskörper), die von lebenden Organismen produziert werden und formulierte die Notwendigkeit des direkten molekularen Kontakts von Ferment und Substrat für Enzymwirkungen (Info). Damit war der Grundstein einer Enzymtheorie der Lebensvorgänge geboren (Info). Fermente oder eben Enzyme können nach Abtrennung oder sogar Abtötung der Mikroorganismen aktiv sein.
Pierre Eugène Marcellin Bertholet (1827-1907, Info) war ein französischer Chemiker, experimentierte mit zellfreien Hefeextrakten und publizierte 1860 folgende Erkenntnisse: "Der Hefeextrakt enthält somit ein besonderes, wasserlösliches Ferment, das in der Lage ist, Rohrzucker in Invertzucker umzuwandeln" (Info, S.984). Dieses in seiner Funktion nicht an den Organismus gebundene Ferment (im damaligen Sinne ein Gärungsmittel) ist in heutiger Terminologie die Invertase, welche die irreversible Spaltung des optisch rechtsdrehenden Rohrzuckers (Saccharose) in den linksdrehenden Invertzucker (Gemisch aus Glucose und Fructose) katalysiert. Die Hefe kann also eine Substanz (= Enzym) auscheiden, das völlig frei von der lebenden Hefe auch in einem wässrigen Milieu seine Funktion erfüllt.
Wilhelm Friedrich Kühne (1837-1900, Info), ein deutscher Physiologe und Enzymforscher schlug 1878 den Begriff "Enzym" für lösliche nichtbakterielle Fermente bzw. Wirkstoffe vor, um der verwirrenden Doppelbedeutung des Begriffs "Ferment" ein Ende zu setzen.
Carl Wilhelm von Nägeli (1817-1891, Info). Der Schweizer Botaniker stellte 1879 eine für sämtliche Fermentwirkungen geltende „Theorie der Gährung“ auf, die er in molekularen Mechanismen zu begründen suchte. Er versuchte 1878, zusammen mit Oscar Loew (1844-1941, deutscher Pflanzenphysiologe, Info) das eiweisshaltige Gäragens "Ferment", die von Pasteur vermutete "Alkoholase" mit Hilfe von Glycerin aus den Hefezellen zu extrahieren, was allerdings misslang (Info > pdf, S. 131).
Bis zu diesem Zeitpunkt erschwerte die Feststellung einer unabhängigen, von der Aktivität lebender Zellen getrennten enzymatischen Aktivität das Verständnis der Rolle der Enzyme bei den zellulären Aktivitäten. Erst allmählich, im neunzehnten und bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein, wurde diese Rolle offensichtlich.

Reess 1870: sehr schöne Hefeillustrationen des
"gesunden" Hefetyps Saccharomyces cerevisiae.
Quelle: Alkoholgährungspilze, Arthur Felix. Leipzig (1870)]

FAZIT der mikrobiologischen Gründerjahre (1850-1880 - Pasteur'sche Periode)
1. Braukunst: Nur vereinzelt dringen neuere wissenschaftliche Erkenntnisse in die Braupraxis vor. Probleme der Weingärung in Frankreich
spornen die Gärwissenschaft an.
2. Wissenschaft/Forschung: Die biologische Natur der Gärung wird definitiv nachgewiesen und setzt sich gegen die bisherige
Lehrmeinung der mechanistischen Gärungstheorie durch.
Die Erforschung der Hefe war zentral für die frühe Entwicklung der Mikrobiologie und der physiologischen Chemie, dem Vorläufer der Biochemie.
10. Hefeforschung von 1880-1900: Hefereinkulturen und zellfreie Gärungen
In dieser Periode wurden grundlegende mikrobielle Kulturtechniken entwickelt, die Mikroorganismenvielfalt entdeckt und die Enzymologie begründet.
1. Der Weg zu Hefe-Reinkulturen
Ein neues Verfahren zur Erforschung naturwissenschaftlicher Prozesse und deren praktische Umsetzung wird selten von einer Forscherpersönlichkeit allein entwickelt, sondern beruht auf vielen vorhergehenden einzelnen Erkenntnisstufen.
Julius Oscar Brefeld (1839-1925, Info), deutscher Botaniker und Mykologe, entwickelte ein Einzell-Kulturverfahren durch Isolierung von in Nährmedien ausgekeimten Sporen und legte die Bedingungen für die Gewinnung von Reinkulturen fest (1875): 1. Beimpfung (Inokulation) eines Nährmediums mit einer einzigen durch Verdünnung gewonnenen Zelle, 2. Sicherung einer eventuellen Kontamination (mikrobiellen Verunreinigung) durch mikroskopische Kontrolle, 3. optimale Zusammensetzung des Nährmediums für mikrobielles Wachstum, 4. die Organismenkultur muss vollständig geschützt werden vor äusserlicher Kontamination und Austrocknung (Info, ab S. 47). Er sterilisierte sogar seine Nährmedien! Seine Methode entwickelt er an Pilzsporen und war zunächst nicht direkt anwendbar zur Isolation kleiner Mikroorganismen wie Hefen oder Bakterien.
Joseph Lister (1827-1912, Info), ein britischer Mediziner und vor allem bekannt für seine Pionierarbeit in antisepetischer Medizin (Info, cf. auch Listerismus), entwickelte 1878 eine mechanische Spritze mit einem minimalen Aufnahmevolumen von 0.5 μL (= eine Art Mikropipette). Zusammen mit einem Mikroskop und geeigneter Verdünnung entwickelt er eine Auszähltechnik mit einer hohen Wahrscheinlichkeit, nur gerade ein Bakterium isolieren zu können (Abb.).
Der Durchbruch zur Kultivation einzelner Mikroorganismen und damit die Erzielung von Reinkolonien war der deutsche Mediziner und Mikrobiologe/ Hygieniker Robert Koch (1843-1910, Info) mit seiner Kulturplatten-Technik mit festen, transparenten Nährböden.
Bis dahin waren Bakterien entweder in Fleischbrühe gezüchtet worden oder auf Kartoffelscheiben, die sich im Mikroskop nicht im Durchlicht betrachten liessen und auf denen viele Bakterien gar nicht wuchsen. Koch verfestigte die Fleischbrühe mit Gelatine und überimpfte aus sterilen gelatinierten Nährglasplatten einzelne gewachsene Bakterienkolonien auf Schrägnährgelatine-Proberöhrchen (1881 offiziell vorgestellt, Info). Später führte sein Mitarbeiter Walther Hesse (1846-1911, Info) anstelle der ungünstigen Gelatine-Verfestigung die Agar-Agar-Methode gemäss der Erfindung seiner Frau Fanny Angelina Hesse (1850-1934, Info 1, Info 2) ein. Die Nährböden wurden in rechteckigen "Plattenschalen“ ausgegossen. Die Innovation der festen, transparenten Nährböden revolutionierte die Bakteriologie. Robert Koch publizierte 1883 das bereits ab 1876 eingeführte sog. "Plattengussverfahren" (eine Mikroorganismen-haltige Probensuspension wird mit ca. 45 °C flüssig gehaltenen Agarnährboden vermischt und nach der Verfestigung bebrütet [Info1,Info 2]).
Ein weiterer Mitarbeiter Kochs, Richard Julius Petri (1852- 1921, Info), deutscher Bakteriologe, ist mit der Entwicklung der "Petri-Schale“, ein flaches, mit einem Deckel verschliessbares rundes Behältnis zur Aufnahme von Nährmedien für Bakterienkulturen weltweit dem Namen nach bekannt (1887). Seit den 1960er Jahren überwiegend aus Kunststoff hergestellt, gehört die Petrischale heute zur Standard-ausstattung eines jeden bakteriologischen Labors (Info).

Robert Koch, ein unermüdlicher Forscher, hat durch seine bakterio-logischen Kultivationstechniken auch
die Hefeforschung indirekt beeinflusst.

Erkenntnisfortschritte sind immer an Techniken gebunden.
re Kochs Schräggährgelatineröhrchen mit Wattepfropfen, li Petrischalen (PS) aus Glas (oben) und Kunststoff sowie mit Hefe-kolonien bewachsene PS.

Emil Christian Hansen - der erste professionelle Hefemikrobiologe.
Emil Christian Hansen (1842-1909, Info1, Info 2), dänischer Botaniker, untersuchte seit 1878 als Mitarbeiter des Carlsberg Laboratorium die Ursachen der ständig variablen Bierqualität ("Bierkrankheit"). Er isolierte Wildhefen und dank seinen Studien und Analysen fand er heraus, dass sich nur wenige reine Hefetypen für das Brauen eignen. Die Bierschädlinge isolierte er bereits 1882 mittels seiner 1883 veröffentlichten effektiven Technik zur Erzielung reiner Hefekulturen (Saccharomyces pastorianus I, Sacch. past. II (intermedus), Sacch. past. III (validus), [Hansensches Einzell-Verfahren, Info 1, Verfeinerung Info 2]). Er isolierte zudem 4 Stämme aus den eingesetzten Carlsberg-Saccharomyces-Brauhefen, von denen aber nur einer, Carlsberg Unterhefe Nr. 1 regelmässig gutes Bier ergab. Ab 1883 eingesetzt wurde mit diesem Hefeklon bereits 1884 der gesamte Carlsberg Bierausstoss erzielt. Der Einsatz von untergärigen Bierhefeklonen trat damit seinen weltweiten Siegeszug an (Bsp. USA: 1892 Pabst, Schlitz und Anheuser-Busch 2.3 Mio. hL, ebenso 50 weitere nordamerikanische Brauereien). Hansens Methode zur Erzielung von reinen Hefekolonien wurde auch bei der Bäckerhefe angewandt (Max Delbrück [1850- 1919, (Info)], Friedrich Hayduck [1880-1961, Info)], C. Nagel [ ], alle am "Institut für Gärungsgewerbe und Stärkefabrikation (IfG)" in Berlin (Info). Das IfG entwickelte sich zu einem Pionier der Biotechnologie: ab 1896 wurden dort Milchsäurebakterien und Hefen im industriellen Massstab produziert.

1883: Hansensche Feuchte Kammer nach Böttcher zur Erzielung von Einzell-Reinkulturen [Quelle, mod.]
a Deckglas, b 1 Tropfen Hefesuspension, c Glaswand (ringförmig),
d Wasserschicht als Austrocknungsschutz (Evaporation).
Verfahrensbeispiel: pro 1 Tropfen 20 Hefezellen, mikroskopisch genau ausgezählt --> in 40 mL Wasser verdünnen --> 1 mL dieser Verdünnung in 40 Fläschchen mit steriler Bierwürze --> theoretisch nur in jeder 2. Fläschchen Hefewachstum --> aufgrund Wachstum von Hefekolonien ("separate yeast speck") Rückschluss auf Fläschchen mir nur 1 einzigen Hefezelle als Ausgangspunkt für Vermehrung = Reinkultur.
2. Zunahme neuentdeckter gärfähiger Hefestämme
Dier Einsatz neuer Techniken zur Isolierung reiner Hefekulturen führte zwischen 1880 und 1900 zur Beschreibung von ca. 130 verschiedenen Hefestämmen. E. C. Hansen beschrieb 4 neue Hefearten [Kluyveromyces marxianus wird durch ihre Fähigkeit, Laktose zu fermentieren, in der milchverarbeitenden Industrie genutzt, um Hefeproteine und produzieren, aber auch Ethanol aus Molke (Info), Pichia membranifaciens (Info), Saccharomycodes ludwigii für die Herstellung alkoholarmer bzw. alkoholfreier Biere (max. 0,5Vol.%) (Info), Pichia anomala in normaler Traubenflora, aktiv in der ersten Weingärungsphase (Info)].
Paul Lindner (1861-1945, Mikrobiologe, Info) publizierte die Beschreibung von 6 neuen Hefearten (Gärungserreger, Info), u.a. Schizosaccharomyces pombe (Info), Torulaspora delbrueckii (Info), Zygosaccharomyces bailii als Schadhefe (Info).
Auch Topwissenschafter dieser Periode wie Martinus Willem Beijerinck (1851-1931, holländischer Mikrobiologe und Pioniervirologe, Info) befassten sich mit der Alkoholproduktion und der Rolle von Milchsäurebakterien. Beijerinck beschrieb Hefearten wie die "Alkoholhefe Schizosaccharomyces octosporus" 1894 (Info1, cf. auch moderne Diskussionen Info 2), während Ilja Iljitsch Metschnikow (1854-1916, russischer Bakteriologe und Immunologe, Info) 1884 die Gattung Metschnikowia beschrieb (Info 1, vgl. moderner Einsatz in der Önologie [Bioprotektion] Info 2, Info 3 > "Hefe mehr als nur Alkoholproduzent").
Hefen sind aber nicht nur für die Bierherstellung essenziell, sondern sind auch in traditionell fermentierten Getränken aktiv, z.B.
-
Ginger Beer: eine Mischung aus Zucker, Zitronensaft, Ingwerwurzelnund Weinstein (Kaliumhydrogentartrat, KC4H5O6), fermentiert durch den Hefepilz Saccharomyces florentinus und das Bakterium Lactobacillus hilgardii oder der Kombination von Saccharomyces pyriformis und Bacterium (Brevibacterium) vermiforme (Info).
-
Saké: in Japan nihonshu ist ein fermentiertes Reisgetränk, bei dem der Schimmelpilz Aspergillus flavus var. oryzae (Info) die gekochte Reisstärke hydrolysiert und die Zuckereinheiten durch die Hefen Saccharomyces cerevisiae (in Japan kobo) (Info).
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Kefir: Beijerinck publizierte 1889 über dieses fermentierte Milchgetränk (Info), das primär im Kaukasusgebiet, dem Balkan und Mittleren Osten aus Kuh-, Ziegen- oder Buffalomilch hergestellt wird. Kefir entsteht durch einen komplexen Gärungsprozess, an dem neben Milchsäurebakterien wie Lactococcus lactis und Lactobacillus acidophilus auch Hefen wie Candida utilis, Saccharomyces fragilis, Kluyveromyces marxianus (alias Candida kefyr), Kluyveromyces lactis und Torulaspora (Saccharomyces) delbrueckii beteiligt sind (Info 1, Info 2). Siehe auch Tibi (Wasserkefir).

Beijerinck 1889: Kefirkörner. [Quelle]
B: Saccharomyces kefyr [= Kluyveromyces marxianus (Info)]. C: Bacillus caucasicus.
3. Ernährung/Nährmedien/Kultivation von Hefen
3.1. Verfahren/Methoden
Technische und chemische Innovationen verliehen auch der Hefeforschung in dieser Periode einen gewaltigen Aufschwung. Dazu gehört die Entwicklung neuer Methoden zur Erfassung der Nährstoff-erfordernisse durch Hefen und andere Mikroorganismen. Besonders entscheidend waren die Entwicklung des Gärungssacharometer nach Einhorn, Durham-Röhrchen und das Auxanogramm.
Gärröhrchen nach Einhorn 1885 (Max Einhorn, 1862-1953 [Info]): Dieses einfache System erlaubt qualitative Messungen (Hefe y vergärt Zuckersorte x) und quantitative Messungen (Gärintensität in [mL CO2/Zeit]).
Durham-Röhrchen 1898 (Herbert E. Durham, 1866-1945 [Info]): Diese einfache Methode erlaubt den Nachweis der mikrobiellen Gasbildung. In einem Kulturröhrchen (z. B. Reagenzglas) mit zuckerhaltiger Nährlösung befindet sich noch ein kurzes enges Röhrchen mit der Öffnung nach unten (oben geschlossen) und mit Nährlösung vollgefüllt. Wird während der Gärung ein Gas gebildet, verdrängt es die Flüssigkeit aus dem kleinen Röhrchen und wird somit "sichtbar" (Info).
Auxanographie 1889 (Martinus W. Beijerinck): Verfahren
zur Untersuchung der wachstumsfördernden oder
-hemmenden Wirkung chemischer Substanzen auf
Mikroorganismen (z.B. Assimilationsfähigkeit von
Hefestämmen für verschiedene Kohlenstoff- und
Stickstoffverbindungen). cf. auch Agardiffusionstest.


Auxanogramm: Wachstumsreaktion der Hefe Rhodotorula sp. auf verschiedene Konzentrationen des Vitamins Thiamin (0.001-10 μg/mL) [Quelle]

Einhorn, 1885: Glasgefäss für Zucker-fermentation.
Zunächst im Urin von Diabetikern, später als Gärröhrchen für alkoholische Gärversuche eingesetzt (Gärsaccharimeter: entstehendes CO2 verdrängt substrat-, zeit- und temperatur-abhängig ein bestimmtes Volumen der Hefe-Zuckersuspension [mL] .
Durham, 1898: Einfaches Nachweissystem der mikrobiellen Gasbildung.
li: Originalskizze Durham [Quelle]
re: Kulturröhrchen mit Durhamröhrchen.
3.2. Zuckerstoffwechsel bei Hefen
Der Zuckerstoffwechsel ist grundlegend für das Verständnis des gesamten Hefestoffwechsels. Einer der führenden Chemiker gegen das Ende des 19. Jahrhunderts im Bereich der organischen Chemie und Begründer der Kohlenhydratchemie war Emil Fischer (1852-1915, deutscher Chemiker, Info). Er untersuchte z.B. die Fähigkeit der Hefen, verschiedene Zuckerarten zu vergären (Mannose [Info], Isomaltose [Info], D,L-Fruktose, u.a.). Zusammen mit Hans Thierfelder (1858-1930 deutscher Physiologe und Biochemiker, Info) untersuchte er den Stoffwechsel der Hefen gegenüber verschiedenen natürlichen und synthetischen Einfachzuckern (Monosaccharide) mit geringsten Substratmengen in einer Mikroapparatur (1894 Info). Er extrahierte 1894 aus Bierhefe ein Enzym Invertin, die heutige Invertase, die Haushaltszucker (Saccharose) in Fruchtzucker (Fructose) und Traubenzucker (Glucose) hydrolytisch aufspaltet. Er postulierte 1895 ebenfalls, dass der Vergärung von Polysacchariden durch Hefen jeweils eine Hydrolyse derselben vorangehe (also eine Spaltung in kleinere Zuckereinheiten).
Émile Bourquelot (1851-1921, Info): der französischer Chemiker demonstrierte 1886, dass Hefe D-Glucose schneller fermentiert als D-Fructose.
Der französische Biologe Frédéric Vincent Dienert (1874–1948) erarbeitete als erster Forscher an Hefen klare Hinweise zu einer Enzyminduktion (1899/ 1900): ein Wirkstoff (z.B. Zuckermolekül) regt die Bildung eines spezifischen Enzyms zur Biotransformation an. Hefen fermentieren Glucose ohne Zeitverzögerung, während D-Galactose erst nach einigen Stunden Adaptation vergärt wurde (Info).


Fischer, 1894: Apparatur für kleinste Zucker-Fermentations-ansätze mit Hefen.
a: Gärkölbchen; b: S-förmige Falle für gebildetes CO2; c: Ba(OH)2 als CO2-Nachweisreagenz:
CO2 + Ba(OH)2 --> BaCO3 + H2O.
[Quelle, Abb. 12, mod.]
4. Zellfreie Fermentation
Die führenden Forscherpersönlichkeiten ihrer Zeit, Louis Pasteur und Justus von Liebig debattierten heftig um die Streitfrage, ob überhaupt lebende Hefezellen für eine Gärung notwendig sind.
Schon Friedrich Lüdersdorff hatte 1846 versucht, mit zerriebenen Hefezellen eine Gärung nachzuweisen, was misslang.
Moritz Traube und Marcellin Bertholet kamen ja bereits 1858 bzw. 1860 auf einen Vorschlag bzw. Hypothese, die eine Art Kompromiss zwischen der "mechanistischen Gärung" (Mechanisten) und der "organismischen Gärung" (Vitalisten) darstellte. Diese Forscher postulierten, dass die Gärung von Fermenten verursacht wird, die von Mikroorganismen produziert werden, die aber auch nach Abtrennung oder Abtötung der Mikroorganismen aktiv sein können.
Marija Michailowna Manasseina (1841-1903, russische Ärztin, Info) soll dann schon 1872 als Erste festgestellt haben,
dass Hefezellen keine Voraussetzung für die Alkoholische Gärung sind. In den Jahren 1870-71 verbrachte Manasseina
mehrere Monate am Polytechnischen Institut in Wien und arbeitete mit Julius Wiesner zusammen, wo sie den Prozess
der alkoholischen Gärung studierte. Während dieser Zeit machte sie die bahnbrechende Entdeckung, dass der
Gärungsprozess auf spezifische Komponenten zurückzuführen ist, die aus Hefezellen isoliert werden können (sie nannte
sie "unorganisierte Enzyme"), und nicht auf die lebende Hefe an sich (Info 1, Info 2 (Info 3 > Anmerkung 11; cf.
Dokumentsauszug Ukrow). Allerdings liess ihre Methodik offenbar noch keinen stichfesten Beweis zu (cf. auch Info).
Die definitive Abklärung dieser Streitfrage gelang 1897 durch Eduard Buchner (1860-1917, Info), einem deutschen
Chemiker. Er stellte den ersten einwandfrei zellfreien Hefeextrakt her, der Zucker in Ethanol und Kohlenstoffdioxid
umwandeln konnte (Info 1, Info 2). Durch mechanisches Zerreiben von wasserbefreiter Hefe mit Kieselgur und reinem
Quarzsand sowie Auspressen unter hohem
Druck konnten mit diesem zellfreien Extrakt
Glucose, Fructose, Maltose und Saccharose
vergärt werden. Buchner: "... dass es zur
Einleitung des Gährungsvorganges keines so
complicirten Apparates bedarf, wie ihn die
Hefezelle vorstellt. Als Träger der Gährwirkung
des Presssaftes ist vielmehr eine gelöste
Substanz, zweifelsohne ein Eiweisskörper
zu betrachten; derselbe soll als Zymase
bezeichnet werden".
Zymase ist aus heutigem Wissensstand
natürlich nicht als einzelner Eiweisskörper,
sondern die Summe aller an der
alkoholischen Gärung beteiligten
Enzyme zu betrachten (Info Zymase,
Info Gärungsenzyme).
Durch die Beobachtungen Buchners, dass auch ein zellfreier Hefeextrakt die alkoholische Gärung bewirkt, dass "Ferment" also auch unabhängig von der Lebenstätigkeit der Hefezellen durch einen rein chemischen Prozess wirksam wird, war die Theorie von Pasteur widerlegt und die Differenzierung zwischen "Ferment" und "Enzym" hinfällig geworden. Enzyme sind sowohl innerhalb von Organismen wie auch ausserhalb von ihnen wirksame Biokatalysatoren, also Raektionsbeschleuniger, aber fast immer aus Eiweisskörpern, also Proteine. Buchner erhielt 1907 den Nobelpreis "für seine biochemischen Untersuchungen und die Entdeckung der zellfreien Gärung" (Info).
Die Entdeckung der zellfreien alkoholischen Gärung – der Umwandlung von Zucker in Ethanol in Gegenwart der aus Hefe gewonnenen Zymase – durch Eduard Buchner 1897 legte den Grundstein für die moderne In‐vitro‐Enzymologie.
Frédéric Dienert (1874-1948), ein französischer Mikrobiologe, veröffentlichte 1899 und 1900 erste Studien zur Adaption der Hefe an verschiedene Zucker als Kohlenstoffquellen (Info). Diese Arbeiten gelten als Klassiker zum Thema Enzymadaptation.
An der weiteren Aufklärung der "Enzymkette" der an der alkoholischen Gärung beteiligten Biokatalysatoren waren eine Vielzahl von Forschern und Forscherinnen beteiligt, insbesondere zu Beginn des 20.Jahrhunderts.

1872: M. Manasseina.
Ihre Ergebnisse konnten als Bestätigung der "chemischen" Hypothese der Gärung (J. Liebig) interpretiert werden. [Quelle]
1897: E. Buchners hydraulische Presse zur Gewinnung eines zellfreien Hefeextrakts mit den
funktionsfähigen Gärungsenzymen ("Zymase").

FAZIT der Periode 1880-1900: Schaffung methodischer und biochemischer Grundlagen zum Gärverständnis
1. Braukunst: Spontane Gärungen mit variablem Erfolg werden durch mit Hefe-Reinkulturen beimpften Gärungen abgelöst und führen zu
gleichbleibender Bierqualität.
2. Wissenschaft/Forschung: Neue Methoden und Verfahren führen zur Gewinnung von Reinhefen und damit genauerer Charakterisierung
der Hefeeigenschaften. Anstelle der physiologischen ganzorganismischen Erforschung treibt immer stärker die biochemische Analyse der
Stoffwechselwege die Hefeforschung an. Die Studien zum Zuckerstoffwechsel, bereits von Bertholet, aber besonders von Fischer und
Dienert legten die Grundlagen zur Erforschung der Enzyme und deren Substratspezifität.
11. Hefeforschung ab 1900: Entschlüsselung der Gärungs-Reaktionskette (Fermentationsstoffwechsel)
An der relativ raschen weiteren Aufklärung der "Enzymkette" der an der alkoholischen Gärung beteiligten Biokatalysatoren waren eine Vielzahl von Forschern und Forscherinnen beteiligt, z.B.
Arthur Harden (1865-1940, Info) verfeinerte zunächst die Gasstoffwechselmessungen an Hefen (cf. Abb.).
Zusammen mit William John Young (1878-1942, Info) gelangen ihm bahnbrechende Erkenntnisse.
1. 1904/05: Entdeckung der sog. Cozymase eines "Co-Ferments", dem späteren "Ko-Enzym (1908,
Buchner) und noch später die als Teilkomponente definitiv bezeichnete NAD (NAD+, NADH, NADH+ H+),
Nicotinsäureamid-adenin-dinucleotid, Info). Viele Enzyme brauchen zum Wirksamwerden "Koenzyme",
dialysierbare, niedrigmolekulare Stoffe. 2. 1905/1908: Erstmalige Entdeckung eines chemischen Zwischen-
produktes der alkoholischen Gärung, nämlich der phosphorylierten Verbindung Fructose-1,6-bisphosphat.
(Info). Dies war ein wichtiger Schritt zur Entschlüsselung der Glykolyse, dem schrittweisen Abbau von
Monosacchariden (Einfachzuckern) wie der D-Glucose (Traubenzucker), von der sich auch die
Bezeichnung Glykolyse (= Zucker-Spaltung) ableitet (Info). Harden und Young fassten die Fermentation
mit zwei chemischen Gleichungen zusammen:
(1) 2 Hexosen ( Einfachzucker mit 6 C-Atomen, z.B. Glucose C6H12O6) + 2Pi (anorganisches Phosphat) =
2CO2 + 2 Ethanol + 2 H2O + Hexose-diphosphat
(2) Hexose-diphosphat + 2 H2O = Hexose + 2 Pi
(3) (1) + (2): C6H12O6 --> 2 C2H5OH + 2 CO2.
In den folgenden 30 Jahren ab 1908 bis 1938 werden sukzessive alle Teilreaktionen der Glykolyse
und der anaeroben alkoholischen Gärung aufgeklärt durch eine Vielzahl von Forschern, wie z.B.
-
Carl Neuberg (1877-1956, deutscher Biochemiker, Info): Entdeckung der Carboxylase
-
1929 Nobelpreis für Arthur Harden und Hans von Euler-Chelpin (1873-1964, deutscher Chemiker,
Info) für ihre "Forschung über die Zuckervergärung und deren Anteil der Enzyme an diesem Vorgang"
-
Gustav Embden (1874-1933, deutscher Mediziner, Physiologe, Biochemiker, Info): Aufklärung
der Glykolyse 1929, zusammen mit Otto Fritz Meyerhof (1884-1951, deutscher Biochemiker,
Info) und Jakub Karol Parnas (1884-1949, polnisch-sowjetischer Biochemiker, Info) --> syn.
Embden-Meyerhof-Parnas-Weg
1929 bahnbrechende Entdeckung des ATP (Adenosintriphosphat, biologischer Energieträger,
-
Gerty Cori (1896-1957, österreichisch-US-amerikanische Biochemikerin, Info) und Carl Ferdinand
Cori (1896-1984, österreichisch-US-amerikanischer Pharmakologe und Biochemiker, Info): 1929
Entschlüsselung des Cori-Zyklus (Milchsäure-Stoffwechselwege)
-
Karl Lohmann, zusammen mit Otto Meyerhof: 1931 wird die zweite wichtige Teilkomponente
des Koenzyms als ATP identifiziert
Cofaktors NADH (Nicotinsäureamid-adenin-dinucleotid, reduziert mit H) als essenzieller
Bestandteil des Gärprozesses (Info)
-
Erwin Negelein (1897-1979, deutscher Biochemiker und Zellbiologe, Info): 1929 Entdeckung der auch als „Negelein-Ester“ bezeichneten Verbindung 1,3-Diphosphoglycerat, einem Zwischenprodukt der Glykolyse und der Gluconeogenese sowie 1937 erstmalige Kristallisation des Enzyms Alkoholdehydrogenase ( = letzter Schritt der Alkoholischen Gärung durch Hefe, bei der Acetaldehyd zu Ethanol umgewandelt wird).
Einen Überblick zur Entschlüsselung der einzelnen
Zwischenstufen des Gärungsstoffwechsels findet
sich in der nebenstehenden Tabelle.
1910: Gerät zur Messung des Gärgasstoff-wechsels in 4-min-Abständen (Schiff's Azotometer).
A: Fermentationsgefäss; B: Gasbürette; C: Reser-voirbehälter; D: Zylinder oder kleiner Becher;
E: Quecksilber-Auffanggefäss; F,G: Gummiverbin-dungen; H: Einlassstutzen; I: Thermostat.


1929: ATP-Entdecker Karl Lohmann
Koryphäen der Glykolyse-Aufklärung: "Embden- Meyerhof-Parnas-Weg":
1. Hälfte des 20. Jahrhunderts: Aufklärung der einzelnen Stoffwechselschritte der Glykolyse.
[Quelle: Barnett, 2003, S. 522, mod.]
Nach der Veröffentlichung des Prototyps eines Stoffwechselwegs, der evolutionär ursprünglichen Glykolyse ("Zuckerspaltung"), die über zehn enzymatisch katalysierte Stationen (Info) vom C6-Einfachzucker Glucose C6H12O6 zum wichtigen Zwischenprodukt im aeroben und anaeroben Stoffwechsel, dem C3H3O3 Pyruvat (Brenztraubensäure, CH3-CO-COO -) abläuft, stand die Charakterisierung der daran beteiligten Enzyme im Zentrum der Forschung Bei O2-Anwesenheit (aerob) wird Pyruvat weiter im Citratzyklus unter Gewinnung von biologischen Energieträgern (ATP, NADH, FADH2) abgebaut (Info). Bei O2-Abwesenheit (anerob) läuft die alkoholische Gärung unter Vermittlung zweier weiterer Enzyme ab (Info) (cf. diese Website hier).
Ab etwa 1925 wird erkannt, dass die Glykolyse ein universelles Stoffwechselprinzip in verschiedensten Organismen (Hefe, Tiere, Pflanzen) und auch in verschiedenen Zelltypen ist und mit der Milchsäuregärung in Muskelzellen analog ist ("... die Analogien, welche zwischen der Gärungsspaltung in der Hefe und der anaeroben Kohlenhydratspaltung in dem Muskel bestehen, herauszuarbeiten" [H. Euler et al. 1925]).
Die in der Glykolyse und Schlussphase der alkoholischen Gärung beteiligten Enzyme wurden isoliert und biochemisch charakterisiert, so z.B. pH-Optimum, Temperaturoptimum, Reaktionsgeschwindigkeit, Umsatzrate u.a. Eine fast unüberschaubare Anzahl an Forscher und Forscherinnen waren beteiligt, so z.B.
-
Hexokinase: O.F. Meyerhof 1927 Teilreinigung; O. Warburg & W. Christian 1931 "Zwischenferment"; E. Euler & E. Adler 1935 Übertragung von Pi auf Glucose und Fructose (--> Hexosemonophosphat) durch Zwischenferment; S.P. Colowick & H.M. Kalckar 1943 ATP + Hexose --> ADP + Hexose-monophosphat
-
Glucose-6-Phosphat-Isomerase: A.Lohmann 1933, O. Meyerhof & A. Lohmann 1934, O. Meyerhof et al. 1935, 1936, 1951
-
Fructose-biphosphat-Aldolase und Triosephosphatisomerase: O. Meyerhof & W. Kiessling et al. 1935, 1936; O. Meyerhof & L.V. Beck 1944
-
Glycerinaldehyd-3-phosphat-Dehydrogenase und Phosphoglyceratkinase: O. Meyerhof et al. 1938, O. Warburg & W. Christian 1939, E. Negelein & H. Brömel 1939 Rolle von NAD/ NADH als Wasserstoffakzeptor und ATP (cf. hier), T. Bücher 1947
-
Phosphoglyceratmutase: O. Meyerhof & W. Kiessling 1933, G. Embden et al. 1933, O. Meyerhof & W. Kiessling 1935
-
Phosphopyruvathydratase (Enolase): G. Embden et al. 1933, O. Meyerhof & A. Lohmann 1934, O. Warburg & W. Christian 1941
-
Pyruvatkinase: J.K. Parnas et al. 1934, K. Lohmann & O. Meyerhof 1934, H. Lehmann 1935
-
Pyruvat-Decarboxylase: C. Neuberg & L. Karczag 1911
-
Alkoholdehydrogenase: C. Scheele 1782, Dabit 1800, F. Battelli & L. Stern 1909, E. Negelein & H.-J. Wulff 1937 Isolierung und Kristallisierung der Alkoholdehydrogenase (Info).
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert wurde enorm viel Forschungsarbeit zur Entschlüsselung der Glykolyse geleistet und das trotz der politisch ungünstigen Vorkriegszeit. Detailinformationen dazu sind in Barnett (2011) zu finden.
Glykolyse: Ein ganz entscheidender Stoffwechselpfad:
Die Gärung beginnt mit der "Zuckerzerlegung", der Glykolyse.
Der Glukoseabbau verläuft über 9 Zwischenprodukte, die alle durch insgesamt 10 Enzyme (Nr. 1-10) ermöglicht und beschleunigt werden.
Die Glykolyse hört mit einer C3-Substanz, dem Pyruvat (Brenztraubensäure) auf. Diese Substanz wird sowohl in der anschliessenden aeroben Atmung als auch in der anaeroben Gärung (Fermentation) weiter verstoffwechselt.
Die anschliessende alkoholische Gärung wie auch die Milchsäuregärung benötigen weitere Enzyme (Nr. 11 bzw. Nr. 12-13)
[Quelle: Brock Mikrobiologie kompakt, 13. Aufl. (2015), S. 96]
Sämtliche an der Gärung beteiligten Enzyme aus verschiedensten Spezies sind mittlerweile isoliert und biochemisch charakterisiert (z.B. pH- und Temperaturoptimum, Reaktionsgeschwindigkeit, Umsatzrate). Die Kristallstrukturanalyse gewährt einen ersten Einblick in ihre molekulare Raumstruktur, die NMR-Spektroskopie und andere Verfahren erlauben einen detaillierten Einblick in Proteinstrukturen und daraus abgeleitet auch auf Reaktionsmechanismen. Die entschlüsselten Gene, welche die Baupläne für die Enzyme enthalten, geben Aufschluss über die evolutionäre Herkunft.
Bislang wurden zahlreiche Nobelpreise für Physiologie/Medizin (PM) und Chemie (Ch) für Forschungsergebnisse mittels Hefen als Modellorganismen verliehen (2016 PM "Entdeckungen der Mechanismen der Autophagie", 2013 PM "Entdeckungen von Transportprozessen in Zellen", 2009 PM "Entdeckung, „wie Chromosomen durch Telomere und das Enzym Telomerase geschützt werden", 2008 Ch "für die Entdeckung und Weiterentwicklung des grün fluoreszierenden Proteins", 2006 Ch "für seine Arbeiten über die molekularen Grundlagen der Gentranskription in eukaryotischen Zellen", 2001 PM "Entdeckungen zur Kontrolle des Zellzyklus", 1999 PM "für die Entdeckung der in Proteinen eingebauten Signale, die ihren Transport und die Lokalisierung in der Zelle steuern", 1929 Ch "für ihre Forschung über die Zuckervergärung und deren Anteil der Enzyme an diesem Vorgang", 1907 Ch "für seine biochemischen Untersuchungen und die Entdeckung der zellfreien Gärung" [Info1, Info2, Info3].

FAZIT der Hefeforschung ab 1900: Explosion physiologisch-biochemischen Grundlagenwissens
1. Braukunst: Die Kenntnis des Gärungsstoffwechsels erlaubt eine genauere Steuerung des Brauablaufs (z.B. pH-Wert, Temperatur --> Enzymbeeinflussung). Das Hefemanagement wird entscheidend verbessert.
2. Wissenschaft/Forschung: angeführt von der Erforschung des Gärstoffwechsels auf molekularer Ebene entwickelt sich aus den Forschungsrichtungen der Physiologie und der Organischen Chemie eine eigentliche Biochemie, die weit in andere Gebiete ausstrahlt (Mikrobiologie, Medizin, Biotechnologie). Die Hefe erwies sich somit als wahrer Katalysator für die Entwicklung der modernen Biowissenschaften (Modellorganismus).
12. Abriss: Weitere Meilensteine der Hefeforschung
12.1. Hefezellstruktur
Die Aufklärung der Hefestruktur hing ab vom Fortschritt der Mikroskopiertechnik und der Färbeverfahren. In den 1870er und 1880er Jahren intensivieren sich die Forschungen rund um die Cytologie. Es werden allerdings zahlreiche unausgegorene Publikationen veröffentlicht. Ausführlich berichtet J.A. Barnett über die Hefecytologie in den Jahren 1890-1990 (Barnett, 2002). Die Zellbiologie ist erst ab ca. 1950 mit der Einführung des Phasenkontrastmikroskops und des Elektronenmikroskops zusammen mit der Biochemie und Molekularbiologie erfolgreich. Im Folgenden werden nur einige wenige Höhepunkte erwähnt. Die Cytologie spielt ja im Gegensatz zum Stoffwechsel keine entscheidende Rolle für den Brauprozess.
Friedrich Schmitz (1850-1895, deutscher Botaniker, Info): 1879 "Aus der Gattung Saccharomyces habe ich genauer untersucht den Pilz der Bierhefe, Saccharomyces cerevisiae .... Mit Hülfe der Hämatoxylinfärbung ist es mir gelungen, in jeder Zelle einen einzelnen kugeligen Zellkern nachzuweisen. Ert findet sich etwa in der Mitte der Zelle neben den grossen Vakuolen ..." (Hinweis: wahrscheinlich sah er mit diesem Farbstoff nur den Nucleolus [Kernkörperchen]).
Eduard Adolf Strasburger (1844-1912, deutscher Botaniker, Info): 1884 Zentralkern fixiert mit Pikrinsäure und angefärbt mit Hämatoxylin.
J. Raum: 1891 Vakuole und granuläre Strukturen.
Frans Alfons Janssens (1863-1924, belgischer Zytologe und Priester, Info): 1893/1898 Beschreibung der Kernteilung inkl. Spindelbildung bei Sporenbildung und Knospung.
D.B. Roncali: 1896 Zellknospung und Zellketten.
M. Bouin: 1897 Zeichnungen von Zellknospung, Zellkern und Ascosporen.
H. Wagner: 1898 Beschreibung von Zelle, Vakuolen und Ascosporen.
H. Fuhrmann: 1906 mitotische Chromosomen.
A. Guilliermond: 1917 Meiose skizziert.
J.M. Kater: 1927 Chromosomen im Cytoplasma.
Van Dorsten: 1947 Sprossnarben in den Zellwänden elektronenmikroskopisch sichtbar
D.H. Nortcote, R.W. Horne: 1952 Elektronenmikroskopie der Zellwand und chemische Analyse.
H.D. Agar, H.C. Douglas: 1952 Kernmembranporen.
D.H. Northcote, R.W. Horne: 1952 Bestandteile der Zellwand.
E.A. Duell et al.: 1964 Mitochondrien.
H. Hagedorn: 1964 Plasmalemma.
C.J. Avers, M. Federmann: 1968 Peroxisomen.
E. Cabib, B. Bowers: 1971 Chitin als Bestandteil der Zellwand.
L. Hartwell: 1974 Zellzyklus.
B.J. Stevens: 1977 Morphologie der Mitochondrien.
R.K. Mortimer, D. Schild & L. Goetsch, B. Byers: 1980/1982 Chromosomenzahl (genetisch
und zytologisch bestimmt).
12.2. Zusatzaspekte zum Hefestoffwechsel
Aerober Atmungsstoffwechsel, Regulation, Enzymadaptationen und Regulationen, Transportphänomene und Hefegenetik
Zahlreiche weitere Aspekte des Hefestoffwechsels inkl. der Genetik wurden im 20. Jahrhundert untersucht und geklärt, besonders intensiv nach dem 2. Weltkrieg. In vielen Bereichen waren die Hefen Modellorganismen zur Erforschung wichtiger Stoffwechselgrundlagen. Die akribische Aufarbeitung der Forschungsgeschichte zu den Hefen und die daraus resultierenden Publikationen von Barnett (2004 - 2008) geben darüber einen detailreichen Einblick. In "Yeast Sugar Metabolism" hat es ausführliche Zeittabellen mit den grundlegenden Erkenntnissen, die zum heutigen Wissensstand geführt haben (cf. Literatur hier).
Nur ein Aspekt soll hier noch hervor gehoben werden: der Aufwand, der in der heutigen Forschung
betrieben wird, ist wohl den meisten Nichtfachpersonen nicht bewusst, z.B. in der Genetik. Mit 16
Chromosomen, 5800 Genen und mehr als 12 Millionen Basenpaaren ist das Hefegenom der Prototyp
für den Aufbau des Erbguts höherer Organismen, das bis zu mehreren Milliarden Basenpaare enthält
(zum Vergleich: das Bakterium Escherichia coli: 4,2 Millionen Basenpaare). Die Sequenzierung des
Hefegenoms war ein grosses molekularbiologisches Gemeinschaftsprojekt mit mehr als 600
Wissenschaftlern aus Europa, Kanada, den USA und Japan (1996, Info). Die Hefe hat sich zu einem
Modellorganismus, auch für die Molekularbiologie entwickelt. Die Wissenschaftsgeschichte der Hefe
geht damit unvermindert weiter: "Yeast: An Experimental Organism for 21st Century Biology" (Info).
Mehr als 200 Forscher des Synthetic Yeast Project arbeiten seit Jahren an dem Ziel, alle 16 Chromosomen
einer Hefezelle zu synthetisieren und so lebensfähige Kunstorganismen zu erzeugen. 2014 gelang der
erste Zwischenerfolg, Hefe mit einem ersten künstlichen Chromosom herzustellen (Info). 2017 sind
bereits sechs Chromosomen der Bäcker- oder Bierhefe konstruiert und erfolgreich in lebende Hefezellen
eingebaut. Als Grund für solche "Planspiele mit Lebewesen" wird angeführt, dass gerade die Hefe ein
wichtiger Helfer bei der Produktion von medizinischen und biotechnischen Wirkstoffen sei – und dank
des künstlichen Genoms lasse sie sich dies künftig noch besser optimieren (Info). Ziel ist die Designerhefe,
die jeweils ein gewünschtes Produkt massgeschneidert produziert, z.B. Resveratrol oder neuartige Antibiotika
(Info1, Info 2; zu Resveratrol siehe auch hier).

Bau einer Hefezelle
(Schema, nach elektronenmikroskopischen Bildern; cf. auch hier)
Kommt die Designerhefe - auch mit dem einprogrammierten Bierstil?
cf. Artikel hier GMO Yeast Omega Yeast Intense hop aromas from GMO-yeasts
12.3. Hefetaxonomie
Die wichtigsten Beiträge von Taxonomen zur Hefebiologie waren: (a) die Entdeckung neuer Arten von Hefen; (b) die Beschreibung der Eigenschaften der Hefen; (c) die Entwicklung wirksamer Mittel zur Identifizierung von Hefen; und (d) die Bereitstellung geeigneter Gruppierungen von Stämmen in Arten und Gattungen.
Grundsätzlich können Mikroorganismen in die Gruppen der Prokaryoten ("Kernlose") und Eukaryoten ("Kernhaltige") eingeteilt werden. Zu der letztgenannten Gruppe gehören neben den Algen und Protozoen auch Pilze, einschliesslich der Hefen. Zur Klassifizierung von Mikroorganismen ist es wichtig eine einheitliche und systematische Taxonomie zu beschreiben. Die Hierarchie mit den lateinischen Begriffen und die internationale Nomenklaturregel für das Reich der Pilze ist : Reich (lat. Regnum) (Fungi) --> Abteilung (lat. Divisio)-mycota --> Klasse (lat. Classis)-mycetes --> Ordnung (lat. Ordo)-ales --> Familie (lat. Familia)-aceae --> Gattung (lat. Genus) --> Art (lat. Species).
Gegenwärtig sind circa 750 Hefearten bekannt. Die richtige Einteilung der Hefen auf Gattungs- und Artebene wird seit Jahren diskutiert.
Grundsätzlich gehören Brauhefen zur Gattung Saccharomyces und zur Art cerevisiae. Die Zellen der Saccharomyces cerevisiae werden als kugelig, ovoid, ellipsoid oder zylindrisch gestreckt, einzeln oder als Paar vorliegend, als Ketten oder Cluster beschrieben. Die Grösse der Zellen kann in drei Gruppen eingeteilt werden: grosse Zellen 4,5–10,5 x 7,0-21,0 µm, kleine Zellen 2,5-7,0 x 4,5-11,0 µm und Zwischengrössen mit 3,5-8,0 x 5,0-11,0 µm (Boulton, Quain, 2006).
Geschichte der Hefentaxonomie
Die taxonomische Bezeichnung der Bierhefen hat sich im Laufe der Zeit immer wieder
verändert. 1970 wurden noch 41 Arten der Gattung Saccharomyces zugeordnet, 1998
nur noch 14 Arten (cf. Tabelle).
Die Geschichte der Taxonomie ist schwierig und diffus nachzuvollziehen. Es wird daher auf
die umfassende Publikation von Barnett (2004) verwiesen. Wichtige Forscherpersönlichkeiten
seien hier nur namentlich erwähnt, auffallend viele Frauen befassten sich mit der Taxonomie
von Hefen.
- Emil Christian Hansen (1842-1909, Info): erstmals 1883 beschriebene Hefe Saccharomyces
carlsbergensis, stellt erste Hefetaxonomie auf
- Paul Lindner (1861-1945, Info): beschrieb als erster die Spalthefe Schizosaccharomyces pombe
sowie das alkoholproduzierende Bakterium Zymomonas mobilis
- Alexandre Guilliermond (1876-1945, Info): 1928 dichotomer Bestimmungsschlüssel
- Albert Klöcker (1862-1923, Info): Beschrieb von Saccharomycopsis (Info1, Info 2)
Nach der systematischen Arbeit von Hansen, Lindner, Guilliermond und Klöcker wurde
eine Reihe von Monographien zwischen 1931 und 1984 an der Holländischen
Schule für Hefetaxonomie (Centraalbureau voor Schimmelcultures CBS) veröffentlicht:
- Nellie Margaretha Stelling-Dekker (Info): 1931 Monographie
- Jacomina Lodder (1905-1987, Info): 1934, 1942, 1952, 1970 Monographie
- Harmanna Antonia Diddens (Info): 1942 Monographie
- Nelly Jeanne Wilhelmina Kreger-van Rij (1920-2002): 1952, 1984 Monographien
sowie später vom USA-Forscher C.P. Kurtzman (1938-2017, Info): 1998 Monographie fortgeführt (Info).


Taxonomische Einteilung der Mikroorganismen und Nomenklatur der Pilze.
Arten der Gattung Saccharomyces: Veränderung der taxonomischen Bezeichnungen. [Quelle]
Taxonomische Einteilungen sind leider nicht "stabil". Dies zeigt die Abbildung, welche die vielen Änderungen in der Nomenklatur alleine von Saccharomyces cerevisiae, gemäss der vierten Ausgabe 2011 von "The Yeasts: a Taxonomic Study" (Info 1, Info 2) zeigt.
"Zusätzlich werden die Saccharomyces-Hefen noch in die Gruppen Saccharomyces sensu stricto und Saccharomyces sensu lato eingeteilt. Zu der erst genannten Gruppe Saccharomyces sensu stricto gehören die folgenden vier Arten: Saccharomyces cerevisiae, Saccharomyces paradoxus, Saccharomyces pastorianus und Saccharomyces bayanus, die sich aufgrund ihrer rDNA-SpacerSequenzen (rDNA engl. ribosomal Deoxyribonucleic acid) in zwei Cluster unterteilen lassen" (Zitat aus J.H. Becke, 2018, S. 11).